Besuch der Auto China in Peking: Absurde Konzepte, Technik-Highlights und Chinas Preiskampf

Nicolas La Rocco
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Besuch der Auto China in Peking: Absurde Konzepte, Technik-Highlights und Chinas Preiskampf

Alle zwei Jahre findet im Wechsel mit Shanghai die „Auto China“ in der 22-Millionen-Einwohner-Stadt Peking statt. Kaum ein europäischer Hersteller lässt sich das Spektakel auf dem wichtigen Automarkt entgehen. Für Staunen sorgten beim ersten Besuch von ComputerBase jedoch eher die Kreationen der chinesischen Unternehmen.

Enorme Marken- und Modellvielfalt

Automarken wie BYD, Nio oder Xpeng kennt man mittlerweile auch aus dem deutschen Straßenbild. Doch in den Messehallen der am nordöstlichen Stadtrand Pekings gelegenen Auto China wimmelte es zum Besuch letzte Woche insbesondere von Herstellern, deren Namen man in den meisten Fällen noch nie gehört haben dürfte. Aito, Avatr, Chongqing Changan, Hongqi, Hyper, IM Motors, Li Auto, Lynk & Co, Neta oder Rising sind nur einige Beispiele für die Vielfalt auf dem chinesischen Automarkt, dessen Sortiment keine Grenzen zu kennen scheint – vielleicht mit Ausnahme der des Landes (noch).

Europäische Hersteller in China

Die europäischen Unternehmen waren in Peking eindeutig in Unterzahl, zogen rein subjektiv betrachtet aber ähnliche Menschenmassen auf die Stände. Für Audi (Q6L e-tron), BMW (neuer i4), Mercedes (G 580 EQ), Porsche (elektrischer Macan) oder VW (ID. Code) interessiert sich eben auch die zahlungskräftige Kundschaft aus Fernost. Für einen Medienvertreter aus Deutschland ist jedoch das Unbekannte Chinas das deutlich Spannendere, wenn man schon die Möglichkeit hat, nach acht Jahren erneut China zu besuchen.

Reizüberflutung aus acht vollen Messehallen

Deshalb wurde auf der Auto China ein freies Zeitfenster genutzt, um einmal alle acht Messehallen abzulaufen, möglichst viele Eindrücke aufzusaugen und diese in Bildern festzuhalten. Das mentale Verarbeiten dieser Eindrücke wiederum ist nach vier Stunden Reizüberflutung und Rückreise nach Deutschland weiterhin nicht abgeschlossen, aber zumindest ein Fazit zur Messe und ein wenig zur Autokultur in China lässt sich ziehen. Leicht verdaulich sind da noch Neuheiten wie der Kia EV5 als kleiner Bruder des EV9 oder der farbenfrohe Lotus Emeya.

Xiaomi SU7 im Straßenbild Pekings

Die Zeiten des plumpen Abkupferns von europäischen Autoherstellern sind in China definitiv vorbei, auch wenn mancher Konzern hier und da den Gegenbeweis liefert. Prominentes Beispiel ist der Xiaomi SU7 mit Anleihen beim Porsche Taycan und McLaren 750S. Das Auto des Smartphone-Herstellers stand nicht nur einmal geparkt vor dem Hotel, sondern war auch im Straßenbild Pekings stets zugegen. Auf der Messe hatte man insgesamt betrachtet aber mehr das Gefühl, dass die chinesischen Hersteller sich gegenseitig mit ihren kreativen Karosseriegestaltungen inspirieren. Moderne, sportliche und aggressive Formen stehen hoch im Kurs, wobei Limousinen und SUVs, aber auch Familien-Vans besonders häufig in den Messehallen zu sehen waren.

In China zeigt man gerne die Technik

Beobachten ließ sich vor Ort auch, dass „die Chinesen“ gerne zeigen, welche Technik und wie viel davon im und am Auto verbaut ist. Das betrifft zum Beispiel Sensorik wie Kameras, Radar und vor allem LiDAR, die prominent platziert wird, anstatt sie zu verbergen. Beinahe jedes Fahrzeug mit moderner ADAS-Ausstattung platzierte die LiDAR-Sensorik knapp oberhalb der Windschutzscheibe auf dem Dach, während man in Deutschland etwa bei BMW und Mercedes versucht, die Technik unauffällig im Kühlergrill zu verstecken. Kameras stehen gerne wie kleine Öhrchen von der Karosserie ab und kommen in großer Stückzahl zum Einsatz. Viel hilft viel ist oftmals das Motto gewesen.

Die augenscheinliche Liebe zur Technik setzt sich im Innenraum fort, wo erstaunliche viele Modelle mit einem vollwertigen Head-up-Display ausgestattet waren. Das wiederum bedeutet aber nicht, dass nicht trotzdem noch Platz für Bildschirme hinter dem Lenkrad, auf der Mittelkonsole oder für den Beifahrer gefunden werden kann. Die meisten Autohersteller haben dabei auf Displays im Quer- statt Hochformat gesetzt, so wie sie hierzulande zum Beispiel in den aktuellen Modellen von Tesla zu finden sind. Viele USB-C-Anschlüsse sowie drahtloses Laden vorne und hinten im Auto gehörten ebenso zum Standard.

Die Zulieferer werden beim Namen genannt

Während in Europa die Zulieferer gerne im Hintergrund gehalten werden, schreibt man diese in China häufig aufs Typenschild, um dem Käufer zu zeigen, dass auf hochwertige Komponenten gesetzt wird. Mit Namen wie Nvidia oder Qualcomm für ADAS und Infotainment, CATL für die Batterie oder Brembo für die Bremsanlage geht man gerne hausieren. In China sprechen Hersteller deutlich offener über die Technik unter der Haube. Für eine Marke wie Xiaomi ist es selbstverständlich, nach Jahren mit Smartphones jetzt auch bei Autos die Technik von allen Seiten offen zu kommunizieren.

Fliegende Autos und verrückte Konzeptfahrzeuge

Ungeachtet dieser allgemeinen Beobachtungen gab es zur Auto China aber auch individuelle Highlights, die eine experimentierfreudige Einstellung zum Automobil und die unterschiedlichen Anforderungen und Geschmacksrichtungen der Kundschaft verdeutlichen. Vieles sieht man so schlichtweg nicht auf westlichen Messen. Xpeng zeigte zum Beispiel den AeroHT, aus dessen Heck sich vier Rotorblätter ausfahren lassen, die das Auto abheben lassen sollen. Der Polestar Synergy ist hingegen der Gewinner eines Design-Wettbewerbs und mindestens ebenso weit entfernt von der Serie wie das Modell von Xpeng. Der einsitzige Supersportwagen ist lediglich 1,07 m hoch.

GAC Aion zeigt passendes Auto zur Hochzeit

Bei GAC Aion stand unter der Premiummarke Hyper zum einen die sportliche Limousine GT am Stand, die sich zwar eigentlich durch ihre nach oben öffnenden Scherentüren auszeichnet, vor Ort war es aber die kuriose Präsentation als Hochzeitsauto mit passendem Brautkleid in Wagenfarbe, die optisch hervorstach. Direkt daneben stand der ebenso elektrische Hyper SSR mit 900 kW, der in 1,9 s auf 100 km/h sprinten soll.

Qiyuan E07 verwandelt sich vom SUV zum Pickup

Bei Changan gab es mit dem Qiyuan E07 hingegen ein SUV zu sehen, das sich auf Wunsch zum Pickup wandeln lässt, indem die Heckklappe und das hintere Glasdach eingefahren werden. Den Grill zieren mehrere animierte LED-Zierelemente.

Li Auto Mega setzt auf Doppel-Bildschirm

Li Auto zeigte den Familien-Van Mega, der sich zum einen durch eine futuristische Form mit LED-Streifen unterhalb der Windschutzscheibe auszeichnet, aber auch im Innenraum interessante Merkmale wie ein kleines Display am Lenkrad und einen großen Doppel-Bildschirm für Mittelkonsole und Beifahrer bietet. In der zweiten Reihe lässt sich auf bequemen Einzelsitzen mit drahtloser Ladestation in den Armlehnen Platz nehmen.

JAC De-Fine mit Display vor der Windschutzscheibe

Bei Anhui Jianghuai Automobile, abgekürzt JAC, ließ sich das Konzeptfahrzeug JAC De-Fine bestaunen, das mit einem riesigen Bildschirm quer über die gesamte Breite der Windschutzscheibe ausgestattet war. Doch während BMW beim „Panoramic Vision Display“ des Vision Neue Klasse X auf eine Projektion von unten ähnlich wie bei einem Head-up-Display setzt, die somit lediglich optisch wie ein Bildschirm wirkt, verbaut JAC tatsächlich ein Panel, das locker doppelt so hoch wie bei BMW ausfällt und damit die Frage aufkommen lässt, wie dabei noch ein freier Blick auf die Straße gewährleistet werden kann.

Galaxy Starship öffnet gesamte Fahrzeugseite

Ein Konzeptfahrzeug der extravaganten Art war außerdem das Galaxy Starship von Geely, das zum Einsteigen nicht nur „Selbstmördertüren“ ohne B-Säule bietet, sondern diese zusätzlich mit Flügeltüren bis in den Dachbereich verbindet, sodass sich die gesamte Fahrzeugseite öffnen lässt, um Zugang zur ersten Reihe, zu den drehbaren Einzelsitzen im Fond und zum Sofa ganz hinten zu erhalten. Das SUV stand zudem auf futuristisch gestalteten Felgen mit lediglich drei Speichen, die in spezielle Reifen aus einer Sonderanfertigung übergingen.

IM Motors L6 kommt mit Halb-Feststoff-Batterie

Fast schon bodenständig fiel im Vergleich der von IM Motors – ein Joint Venture von SAIC Motor und der Alibaba Group – gezeigte L6 aus. Die Limousine sei das weltweit erste Auto mit einer Halb-Feststoff-Batterie, also einem Akkumulator, bei dem eine der beiden Kathoden in einem festen Elektrolyt, die andere in einem flüssigen eingebettet ist. Angeboten wird diese Batterie ausschließlich im Topmodell „Max Lightyear Edition“, die mit über 130 kWh eine Reichweite von über 1.000 km erreichen soll. Das Fahrzeug zeichnet sich außerdem durch ein Yoke-Lenkrad, zahlreiche Bildschirme im Innenraum und eine LED-Anzeige im Heck aus, die unter anderem Weihnachtsgrüße anzeigen kann.

Auf Europa kommt eine Welle zu

Der Rundgang über die Auto China verdeutlicht: Die Marken- und Modellvielfalt ist enorm, die Technik fortgeschritten und die Preis fallen häufig niedrig aus. Auf die etablierten Autokonzerne aus Europa dürfte eine gehörige Welle zukommen, sobald mehr als die derzeit nur eine Handvoll chinesischer Anbieter auch hierzulande aktiv werden. Man muss sich nur mal am Beispiel von Xiaomi vor Augen halten, dass die Limousine SU7 selbst als Topmodell „Max“ lediglich 37.500 Euro kostet. Dafür gibt es hierzulande nicht einmal das Basismodell des VW ID.3, der mindestens 40.000 Euro kostet. In China lockt VW hingegen regelmäßig mit enormen Rabatten auf unter 20.000 Euro für den ID.3 und ID.4.

Selbstverständlich werden auch die chinesischen E-Autos hierzulande teurer als im Heimatland angeboten, doch der Druck aus dem Ausland könnte den ein oder anderen lokalen Anbieter über die kommenden Jahren vor deutliche Herausforderungen stellen. Insofern war die Auto China nicht nur für ComputerBase eine interessante Veranstaltung, sondern für europäische Autohersteller ein Vorgeschmack auf künftige Machtkämpfe.

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